Fuck Ideologien—Ein Interview mit Anna und Iv, David Bogner, VICE Alps

Fuck Ideologien—Ein Interview mit Anna und Iv,  David Bogner, VICE Alps

7/11/2013

 

 

Bild 1Eigentlich hatten wir ja vor, in der Überschrift einen halblustigen Witz mit Adam und Eva zu machen, denn erstens klingt Anna und Iv (das wie das englische Eve ausgesprochen wird) so ähnlich, und zweitens möchten die beiden den Geschlechterkampf in der Form, die wir bis jetzt kennen dekonstruieren und die Karten neu mischen. Seit VALIE EXPORT ist hierzulande keiner Künstlerin der Durchbruch dieser weltweit eingezogenen gläsernen Decke gelungen, die auf Werke mit Muschibezug und theoretischem Konzept dahinter besonders sensibel und folglich undruchlässig reagiert. Dass das nicht an dem von Georg Baselitz eingeworfenen Idiotenargument liegt, demnach Frauen „nicht so gut“ malen, ist dem Teil der Menschheit mit zwei tatsächlich funktionierenden Gehirnhälften natürlich klar.

Also haben wir uns vor einigen Wochen mit Anna Ceeh und Iv Toshain getroffen und ein Interview geführt, das uns rein inhaltlich und auch formal etwas überfordert hat. Deshalb haben wir einfach alles niedergeschrieben und dann immer wieder Antwort-Updates erhalten. Oder Richtigstellungen, ganz wie ihr wollt.
VICE: Anna und Iv, ihr seid beide zwar eigentlich mit Männern verheiratet, aber irgendwie auch miteinander. Wann habt ihr euch kennengelernt und wie ist euere Beziehung zueinander?
Anna und Iv:
Ja, wir treiben tatsächlich Bigamie! Nein, ernsthaft: unsere gemeinsame Projekt-Arbeit generiert enorme Synergien, bei uns macht 1(Idee)+1(Idee) nicht 2 sondern 4. Das Ganze ist wie eine Art Meta-Gravitation, die unsere Gedankenströme verbindet.
Abgesehen davon basiert das natürlich auch auf ganz normalen Dingen: gleichen Vorstellungen von der Form der gemeinsamen künstlerischen Arbeit, eine gleiche Vision. Die Wurzeln dessen liegen in dem, das wir beide aus Ost-Europa stammen, können das gleiche kyrillische Alphabet, sind beide Jungfrauen und haben auch gemeinsam in Wien in den frühen 2000er Jahren in der Franz Graf Klasse studiert.

Bild 2Eurer Kollektiv hat den Namen FEMINismTC. Ihr legt dabei besonderen Wert auf die exakte Schreibweise. Das hochgestellte TC steht vermutlich für Toshain und Ceeh und ist gleichzeitig eine Anspielung auf Trademark. Aber was hat es mit dem Rest auf sich?
Unser Logo ist ein semiotisches Zeichen und Brandname zugleich. TC—Toshain und Ceeh—steht tatsächlich für trade mark, und deutet dabei bewusst auf den kapitalistischen stereotypen Bild der kommerziellen Kultur.

Es ist sichtbar, dass der Ausgangspunkt das Wort „Feminism“ bildet, wobei wir das “ism” durchgestrichen haben, also FEMINismTC . Dadurch wird das Wort partiell verneint, es kann aber immer noch gelesen werden. So entsteht eine Art Grenzbereich: die Leute wissen oft nicht wie man das Logo lesen soll und genau das finden wir gut. Die Schreibweise ist in dem Sinne extrem wichtig, denn ohne den Strich, kehrt man direkt zu dem ursprünglichen Wort zurück, das wir eigentlich als outdated und kontaminiert definiert haben. Und ja, wir wissen, mit dieser Aussage trauen wir uns was, aber das ist genau der Punkt.

Also das gesamte Konzept steht in direktem Bezug zum Logo, zum visuellen Zeichen und seiner Botschaft. Wir haben das „ism“ quasi amputiert und kritisieren dabei das Ideologische. Zugleich unterstreichen wir „FEMIN“, das an sich mit multiplen Projektionsflächen wie „weiblich“, „feminin“, „Frau“ in Verbindung gebracht wird, jedoch nicht nur im Bezug zu einer realen Frau an sich. Das heißt, dass dies keine exklusiven Begriffe sind, die nur eine Frau definieren, sie können sich auch auf Männer, Queer oder auch Transgender–Personen beziehen, bzw. auf alle, die sich damit identifizieren wollen. In diesem Sinne macht es unsere zentrale Strategie aus, männliche, queer etc. Position zu integrieren, um damit neue Denkräume zu öffnen, die jenseits des binären Korsett—Mann–Frau oder Macht–Unterdrückung—verortet sind.
FEMINismTC steht für Offenheit und Loslösung von dogmatischen Verkrustungen. Nennt es Multi-Identitäten, eine physikalische Welle und ein Teilchen zugleich, oder sagen wir einfach “Quantum FEMINism“!

Bild 3Schrift und Sprache spielen sowohl im modernen Feminismus als auch in der Welt der Kunst und in Form von Tags auf der Strasse eine wichtige Rolle. Habt ihr jemals vor, aus Galerien rauszugehen und die Hauswände für euch zu erobern?
In Gedanken und Ideen sind wir schon im öffentlichen Raum zuhause! Im März 2014 wird unser erstes grosses KÖR Kunstprojekt im öffentlichen Raum starten!   FEMINismTC möchte am Standpunkt Wien eine künstlerisch-diskursive Nahtstelle zwischen der Gesellschaft, der Öffentlichkeit, aktivistischem Diskurs und Gegenwartskunst definieren und durch eine massive Projekt-Präsenz im urbanen öffentlichen Raum alle Gesellschaftsschichten jenseits des white cubes mit einbeziehen, bzw. erreichen. Wir und unsere Multi-Identitäten lassen uns nicht in eine einzige Schublade “einsperren”. Im Prinzip wollen wir bzw. werden wir jegliche Räume bespielen: black boxes, white cubes, frei stehende Lokale, Museen, Hauswände, private Sammlungen etc. Es gibt in allen Arten von Räumen einen besonderen Reiz, aber auch bestimmte Grenzen, die wir überschreiten werden.  Noch 2013 wird es in Wien vier bis fünf FEMINismTC „Interventionen“ geben. Also macht euch gefasst!
Bild 1-11Für die letzte Ausstellung FEMINismTC : БАЙХТЕ—ein semiotisches Zeichen, bzw. Transkription des deutschen Wortes “Beichte” in kyrillischer Schrift—haben Anna Ceeh und Iv Toshain österreichische und internationale KünstlerInnen Anetta Mona Chişa & Lucia Tkáčová(RO/SK), Boris Ondreička (SK), Carolee Schneemann (US), Hans Scheirl (AT), Kiwa (EE), Linda Bilda (AT), Nomeda und Gediminas Urbonas (LT), Siggi Hofer (AT/IT), Slava Mogutin (RU/ US), VALIE EXPORT (AT) zu projektbezogenen Kooperation eingeladen. Die dabei entstandenen Slogans zum Topos von FEMINismTC wurden in Form einer spektakulären Intervention in der Galerie Charim / Charim Events im September und Oktober 2013 präsentiert.

Kann es auch Teil des Konzepts sein, dass die Wand und die Sprüche der einzelnen Künstler auch wie eine Art Selbstbaukasten funktionieren. Also von Besuchern der Galerie in die Welt hinausgetragen werden?
Ja, so in die Richtung, die Slogans können sich fast von selbst grenzenlos viral weiter verbreiten, die muss man weder in Luftpolsterfolie verpacken, noch mit Kunsttransport transportieren. Um übertragen zu werden brauchen sie keine physische Präsenz des Künstlers. Wir haben einen Aufruf für Slogans an KünstlerInnen von der ganzen Welt gestartet, und diese in Wien in der Charim Galerie quasi zum Ausdruck gebracht. Nach diesem Zwischenstopp werden sie wieder von Mensch zu Mensch weiter verbreitet. Auch wenn die Wand nach der Ausstellung übermalt wird.

Bild 2-22Ich habe den Eindruck, bei eurer Herangehensweise schwingt oft eine sehr gegenwärtige Weltsicht mit. Was Ideen des Copyrights betrifft, und auch in Bezug auf den Kunstmarkt. Eure Werke sind eher konzeptueller Natur und dementsprechend schwer verkäuflich. War es schwierig eine Galerie zu finden?
Danke. Ja unsere Sprache ist aktuell, einfach NOW bzw. der Gegenwart immanent. FEMINismTC ist ein Konzept im Grenzbereich zwischen Materialität und Immaterialität. Wir setzen auf Grenzbereiche der Wahrnehmung, dessen Inhalt nicht rein additiver, sondern vielmehr ein potenzieller Raum für emotionale und gedankliche Reflexionen ist. Wir schaffen Räume, wo Inhalte immer da, aber nicht immer wahrnehmbar sind. Dabei handelt es sich um Inhalte, die jenseits von darstellend/abstrakt/performativ/installativ sind. Diese Inhalte kann man natürlich nicht einfach so auf den Kunstmarkt werfen. Sonnst würden wir den Event-Raum der Charim Galerie zum Verkauf anbieten müssen, aber warum auch nicht?

Im Grunde verachten wir den Kunstmarkt keineswegs. Manche unserer Konzepte existieren sehr wohl in einer verkäuflichen Form, der Verkauf an sich steht aber für uns nicht im Vordergrund, sondern gesellschaftliche Prozesse der Veränderung zu antizipieren. Im Moment arbeiten wir mit der Charim Galerie. Aber man kann dieses Projekt nicht lokal an eine Galerie binden. Um das Projekt zur Gänze zu entfalten brauchen wir quasi größere museale und nicht profit-orientierte Räume. Und im Ganzen sind wir independent, eine Art Selbstversorger und “one/∞ wo/ man Show”.
Bild 4Überhaupt scheint ihr ziemlich viele Dinge einfach zu verschenken. Erst die T-Shirts und bei der Finissage wird es limitierte Poster geben, oder?
Es ist ein Teil unsere Marketing-Strategie, aber ist auch schön, Artefakte an Leute zu verschenken, die uns unterstützen und unsere Arbeit mögen.

Die Teilnehmer von БАЙХТЕ lesen sich wie das Who is Who der Kunstszene. Nach welchen Kriterien habt ihr die Teilnehmer ausgesucht? Haben euch auch KünstlerInnen abgesagt? Ich denke zum Beispiel an Marlene McCarty, die perfekt gepasst hätte.
Uns war wichtig, dass KünstlerInnen sich sowohl mit dem Themenkomplex der Gender-Identitäten ausseinandersetzen, aber zugleich auch mit Texten arbeiten, sonst ist es schwierig auf Anhieb einen Slogan oder eine Message zu generieren. Mit den meisten der БАЙХТЕ „Who is Who´s“ arbeiten wir an diversen Projekten seit etlichen Jahren. Carolee Schneemann haben wir aber nicht persönlich gekannt, dabei hat unser Konzept sie sehr beeindruckt und sie hat pünktlich zur Deadline einen Slogan geschickt. Bei der Künstler-Auswahl bewegen wir uns aber auch absichtlich außerhalb der eurozentristischen Referenz-Punkte, um den Horizont und auch Reflektions-Radius zu erweitern. Das Projekt ist an sich modular aufgebaut, also wir sind schon im Begriff, das KünstlerInnen-Team zu erweitern.

Kant und nicht Cunt kommt in einer der Botschaften vor. Was ist eure philosophische Grundlage? Auf welche PhilosophInnen beruft ihr euch?
Wir berufen uns auf niemanden. Und Vulva kommt auch in der Botschaft von Carolee Schneeemann vor. Was Philosophie angeht, schwingen viele Franzosen mit. Es ist cool in die „Ästhetik des Verschwindens“ von P.V irilio oder „Intensitäten“ von J-F. Lyotard einzutauchen, durch die „Agonie des Realen“ von J. Baudrillard zu surfen usw. … Es gibt sehr viele sehr spannende Werke und PhilosophInnen! Derrida übt auch einen Einfluss auf uns aus! Aber auch die aus Indien stammende Literaturwissenschafterin G. Ch. Spivak, die komplex, eigenwillig, transdisziplinär und „gegen den Strich“ denkt und schreibt.

Bild 5Und wie schauts mit Pop aus? Madonna, Lady Gaga, anyone?
Es geht uns tatsächlich um eine intensive Konversation zwischen Gegewartskunst, Pop Kultur, Aktivismus und Jugendkulturen. Dabei wollen wir die Grenzen zwischen Kommerz und Kultur verwischen und eine Neundefinition von Selbstbewusstsein postulieren. So sind unsere T-Shirt-Artefakts zum Beispiel auch Pop, ein Streetwear- und einen high-end Art-Trend, eine faszinierende Konvergenz der Massenkultur und der Hochkultur zugleich. Wir machen Identitätspolitik und gleichzeitig transportieren wir mit den Shirts die Botschaft: F..CK Ideologien, F…CUK uniformierende aufgesetzte Identitäten-Konstrukte, wir sind HIER und JETZT. Die gehören den Menschen auf der Strasse und nicht ins Museum. Wäre cool wenn Madonna als Messenger und Cult-leader sich mit eins unseren see through T-Shirts  sich zeigen würde!

БАЙХТЕ ist nicht eure erste Gemeinschaftsarbeit, aber der Auftakt einer ganzen Reihe von Ausstellungen, Performances und Projekten. Was erwartet uns noch in den kommenden Wochen?
Am 17. Dezember gibt es eine Ausstellung im 8. Bezirk, wobei der Ort noch geheim gehalten wird. Wir verraten euch aber als Ersten den Namen ” SAW I”, ihr wisst nach welchem Film, oder? Und 2014 kommt dann ein großes Projekt im öffentlichen Raum, das von KÖR unterstützt ist und sicher nicht zu übersehen sein wird! Zum Inhaltlichen wollen wir vorab nichts sagen! Die Überraschung  ist ein wesentliches Tool in unserer Taktik. Wir können nur verraten, dass Marina Abramovic mitmacht.

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