Brigitte Huck: Operation Street-Credibility und Kurt Kladler: SUBVERTING VIENNA (German version)

Brigitte Huck*: Operation Street-Credibility

 

Anna Ceeh und Iv Toshain überprüfen ihre Street-Credibility im öffentlichen Raum Wiens: Die urbane Intervention Prayer ist ein weiteres Kapitel in einer Folge von Acts, die unter dem typografisch nicht unkomplexen Label FEMINi̶s̶m̶TC ablaufen. „TC“ als Superscript steht für Toshain und Ceeh, „FEMIN“ kommt immer in Versalien, „-i̶s̶m̶“ wird durchgestrichen (siehe DADA: das Verneinen von „ism“ als Kritik von Ideologien), also sichtlich verneint, und das IN von FEMIN kursiv geschrieben, also schräg. Wie auch die künstlerischen Maßnahmen und Handlungsweisen des Duos nicht selten aus der Norm kippen.

Seit 2012 arbeiten Iv Toshain und Anna Ceeh gemeinsam an dem ideologiekritischen Projekt, einem modularen Perpetuum mobile, das Diskurs mit performativen Formaten verbindet. Sie tüfteln an neuen Zeichen und Symbolen, mithilfe derer sich die Avantgardegeneration von heute von allzu akademischen Gendertheorien absetzt. Gezielte Lockerungsübungen respektive Tabubrüche bringen wieder Schwung in das Thema.

Toshain und Ceeh haben als Solistinnen bereits solide Karrieren hingelegt und bündeln nun ihre Arbeitskraft, um veraltete feministische Doktrinen gemeinsam zu beseitigen: Kontaminierte soziopolitische Strukturen der Abgrenzung sollen einer lichten Zukunft zusammenhängender Gender Fluidity weichen.

Iv Toshain wird in Sofia geboren, verbringt ihre Kindheit im Irak und in Libyen. Der erste Golfkrieg hinterlässt auch körperlich Spuren: Eine Narbe unter dem Auge lässt sie den Sturz von einem Bunker bis heute nicht vergessen. Über Mailand kommt sie nach Wien und studiert bei Franz Graf an der Akademie der bildenden Künste. Grafs erweiterten malerischen Raum erschließt sie mit Ninja-Wurfsternen, aggressiven, aber auch superschicken Waffen, klein und verheerend. Mit ihnen schlitzt sie Leinwände auf, verbohrt sich in Bildoberflächen, entwickelt ein Vokabular der Risse und Wunden, irgendwo zwischen Lucio Fontana und Günter Brus. Neben der Produktion von Kunst geht es Toshain auch um deren Wahrnehmung: Als im philosophischen Sinn aufgeklärte Kuratorin ist sie für das Format Avantgarde-Kunstmesse und ihre präzisen Montagen auf windigen Parkdecks und modrigen Kellern geschätzt.

Anna Ceeh kommt aus einer Künstlerfamilie im russischen Sankt Petersburg. An der Akademie der bildenden Künste in Wien schließt sie sich dem Biotop von Franz Graf an, arbeitet in den Medien Fotografie und Video und entwickelt eine subversive Methode, den Vervielfältigungsmodus von Inkjet-Prints zu torpedieren. Ein umfangreiches Archiv russischer Requisiten liegt den Arbeiten zugrunde. Fehler, Zufall und schrille Farbexperimente dynamisieren die Produktion. Die Entwicklungsgeschichte sowjetischer Synthesizer ist Thema ihrer Dissertation bei Diedrich Diederichsen. Gemeinsam mit Franz Pomassl, Österreichs prominentem Electronic-Sachverständigen, betreibt sie das Label Laton sowie das Mammutbuchprojekt  S⁄O⁄N⁄I⁄C⁄ ⁄Z⁄O⁄N⁄E⁄S⁄ zu den Themen „indipendent electronic music“, Clubkultur, Sound Art und kryptogene Subkulturen in den elf postsowjetischen Ländern. Das musikalische Ergebnis des Projekts kam 2011 auf einer 14-teiligen CD-Kompilation heraus und erhielt den Anerkennungspreis der Ars Electronica.

Neben Rückblenden in Topografien hinter dem Eisernen Vorhang verbindet Iv Toshain und Anna Ceeh ein gemeinsamer Hang zur Politik, zur Sprache und Kunsttheorie, Popkultur, zu Szene-Codes und aktivistischem Diskurs sowie zur Dekonstruktion und Erweiterung von Konventionen aller Art. Von 2012 bis 2014 steht der Themenkomplex Feminismus im Zentrum vieler Operationen. „Wir sind FEMINistinnen und keine Feministinnen. Wir stufen Feminismus als unflexibel und kontaminiert ein“, so Toshain/Ceeh. Die angestaubten Oberflächen weiblicher Identitätsklischees wischen sie großzügig weg und probieren entlang neuer Frontverläufe zeitgenössischere Formen vom Kampf der Geschlechter aus. Um Aktionsradius und Wirkungspotenzial zu erweitern, überraschen beide Künstlerinnen im Anschluss an das Posterprojekt mit weiteren sieben Logos (XXXXXi̶s̶m̶TC, FUCKi̶s̶m̶TC). „Hauptthema bleibt: Kritik und das Hinterfragen von gängigen Ideologien (Ismen).“

In einem Manifest – welche ernsthafte Kunstbewegung kommt ohne Manifest aus – spannen sie ihren kritischen Denkraum in zehn „paragraphs“ auf, in dem das „Weibliche“ (= FEMIN) positiv und Ideologien (= ISMEN) negativ konnotieren, in dem Offenheit gut und Doktrin böse sind, wo über alte Hüte wie Repräsentation weit hinausgegangen wird und vergiftete Substantive wie Kampfkraft, Macht oder Stärke zugunsten sympathischerer Begriffe wie Diskurs, Dialog, Toleranz und Kooperation aufgegeben werden.

Das Projekt FEMINi̶s̶m̶TC: ПРЕЙЪР – das Wort funktioniert als semiotisches Zeichen und ist eine Transkription des englischen „prayer“ in zyrillischer Schrift – spielt sich auf einem traditionellen Propagandafeld ab, dem des Plakats. Der Untertitel „4000 Slogans“ bezieht sich auf die verwendeten Sujets – ausschließlich Text beziehungsweise Sprache – und die Auflage, aber auch auf das Werbegenre generell.

Bereits für das Vorläuferprojekt “БАЙХТЕ” („Beichte“), das in einem klassischen Kunstraum, der Wiener Charim Galerie stattgefunden hat, baten Toshain/Ceeh KollegInnen, auf ihr FEMINi̶s̶m̶TC-Logo und -Manifest mit einem kurzen Statement zu reagieren. Diese und neu hinzugekommene Botschaften, Devisen und Parolen bilden Episoden eines feministischen Diwans aus aktueller männlich-weiblich-queerer Perspektive.

Allen voran beteiligen sich die Sisters in Arms VALIE EXPORT und Marina Abramović und bleiben mit „think what you can do, not do what you can think“ und „I believe in no gender in arts“ bei ihren Prinzipien, mit „all that matters is whether you make good art or bad art“ geradezu kanonisch. Aus dem osteuropäischen Raum haben Anetta Mona Chișa und Lucia Tkáčová „do it“-Handlungsanweisungen gesendet im von Marcel Duchamp vorgegebenen Infinitiv, und der sowjetische Lyriker und Schwulenaktivist Slava Mogutin trägt ein optimistisches „towards the gender fluid future“ aus seinem Fluchtort New York bei.

Mit einem saloppen „Baby“ pfeift der Meister der relationalen Ästhetik, Olaf Nicolai, den jungen Frauen in Berlin nach, spielt auf Rollenklischees, ihre Ironisierung und die Reproduktionsthematik an, in Bratislava erinnert Boris Ondreička an das 1944 wegen Hexerei verurteilte schottische Medium Victoria Helen McCrae Duncan und ihre künstlerischen Ektoplasmen aus Pappmaché, der estnische Jack Torrance Kiwa, der zur Hacke greift, will er durch die Tür, legt Immanuel Kant die Worte „I can’t stop wearing mascara and lipstick“ in den Mund. Schließlich outen sich Siggi Hofer und Linda Bilda mit ihrem Sinn für Popästhetik als „both active and passive“ und raten zu „love sex, hate sexism“. Mit semantischen Verschiebungen (Toshains „I CUM ON FEMINi̶s̶m̶TC“) und synkretistischer Körperlichkeit (Anna Ceehs „DIE HEILIGE MILCH ABSPRITZEND“) blicken beide milde über das Pathos der Grenzüberschreitungen in der jüngeren – Wiener – Kunstgeschichte und verweisen auf die Begrifflichkeit, die ihr Werk generell durchläuft: Pop, Kult, Glamour, das Unorthodoxe und Subversive, Protest, Aktivismus, Performance, alles in lässigem Einvernehmen miteinander verbunden.

Die Statements wurden auf viertausend A1-Plakaten vervielfältigt und über einen Monat im gesamten Stadtraum affichiert. Die 23 Wiener Bezirke mutierten zu einem großen Ausstellungsraum, die Werbeflächen der Gewista zu künstlerisch-diskursiven Nahtstellen zwischen Öffentlichkeit und Gegenwartskunst, zwischen urbanem Alltag und aktivistischem Diskurs. Darüber hinaus erweiterte sich der Aktionsradius von FEMINi̶s̶m̶TC mit dem „free style“ der freien Szene gegenüber den Plakat-Platzhirschen von spontanen Guerillaaktionen bei Kunsthallen-Openings hinein in städtische Toilettenkabinen und Pissoirs.

Die Plakate haben Iv Toshain und Anna Ceeh mit Nachtleuchtfarbe übermalt bzw. mit Molotow-Spray besprüht. Die Fluoreszenzstoffe speichern Licht und leuchten im Dunkel, die Texte sind daher auch in der Nacht gut sichtbar: Je dunkler die Ecke, desto intensiver das Leuchten. Durch den malerischen Gestus überführen Iv Toshain und Anna Ceeh die Industrienorm ins künstlerisch ästhetische Aggregat des Originals und in einen Grenzbereich zwischen Materialität und dem Immateriellen, zwischen Auftauchen und Verschwinden, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.

Die Plakatierung verbindet eine etablierte Form der Street Art mit Methoden der Design- und Werbebranche, folgt aber in gleicher Weise den Konventionen und Ritualen des Graffiti, denn Toshain und Ceeh greifen ebenso zur Spraydose wie die Kollegen von der Hip-Hop-Front. „Mit dem Graffiti“, konstatierte Jean Baudrillard in seiner Graffiti-Eloge Kool Killer, „bricht in einer Art von Aufstand der Zeichen das linguistische Ghetto in die Stadt ein, (…) denn das Spiel der Zeichen beruht nicht auf Kraft, sondern auf Differenz.“

FEMINi̶s̶m̶TC“, sagen Toshain/Ceeh, „setzt auf Grenzbereiche der Wahrnehmung, auf einen potenziellen Raum für emotionale und gedankliche Reflexionen. Wir schaffen Räume, wo Inhalte immer da, aber nicht immer wahrnehmbar sind. Dabei handelt es sich um Inhalte, die jenseits von darstellend/abstrakt/performativ/installativ sind.“

Ein geradezu vampiristischer Gedanke charakterisiert die Organisation des Projekts in Raum und Zeit: Das Tageslicht verhilft der Botschaft über die Nacht. Und Zeichen, Kontext und Inhalt laden den Handlungsraum mit kollektiven Wünschen, Absichten und Forderungen auf.

Die Texte auf den Plakatwänden geben eine kleine Feminismuselegie ab, durchzogen von Sarkasmus und trockenem Humor, sind Menetekel auf vergangene Flauten und drohende Rückschläge, von ihrer soziokulturellen Tragweite her aber empfindsam für die politische Symbollage von heute. Und diese wollen Toshain und Ceeh nicht länger hinnehmen. Als Agentinnen der Veränderung und hintergründige Aktivistinnen choreografieren sie die Texte im Stadtraum, in einer Synthese aller ihrer Formate, denn Kunst, und hier beziehen sie sich auf Gilles Deleuze und Félix Guattari, ist eine intensive Realität, ein Block von Empfindungen.

Die 4.000 Plakate sind Schaltstellen im Chiaroscuro der Kontroverse. Vom natürlichen Tageslicht zum nächtlichen Leuchten gebracht, ist ihr Verschwinden vorprogrammiert: Sie können überklebt oder abgerissen werden.
Anna Ceeh und Iv Toshain sind vertraut mit den Methoden des In-situ und der Ortsspezifität. Daher ziehen sie mit Plakat und Farbe an den behördlich genehmigten Standorten vorüber und markieren die Stadt im subversiven urbanen Einsatz. In einiger Distanz zum österreichischen Alpinisten Joseph Kyselak, der am Beginn des 19. Jahrhunderts auf seinen Wanderungen Felsen und Höhlen signierte, oder zu so manchem aufdringlichen und großkotzigen Graffiti-Outlaw von heute sind Iv Toshain und Anna Ceeh die Intellektuellen, die Guerilleras unter den Taggern. Sie schummeln große gesellschaftliche Fragen in versteckte, lokale Ecken und appellieren ans Unterbewusstsein ihrer Rezipienten. Das Manöver heißt Street-Branding und schreibt sich in öffentliche Flächen, Straßen und Hausmauern ein, kann sich in Black Boxes, White Cubes, freistehenden Lokalen, Museen und privaten Sammlungen ausbreiten: Graffiti als aktivistisches Konzept, als Territorium von Partizipation und Prozessualität, als puristische Form der Kommunikation.

Schließlich verdichtet der Transfer der aktivistischen Sache in den urbanen Raum verschiedene Ebenen und Kontexte: den kunstspezifischen und den gesellschaftlichen, den literarischen und den rein physischen, den performativen und den partizipativen. Und wenn Baudrillard meinte, es würden „tausende mit Markers und Sprühdosen bewaffnete Jugendliche genügen, um die urbane Signalethik durcheinanderzubringen und die Ordnung der Zeichen zu stören“, hat er sich verschätzt. Iv Toshain und Anna Ceeh beweisen, wie das zu zweit geht.

April 2014

*BRIGITTE HUCK ist Kunsthistorikerin, Kuratorin und Kunstkritikerin. Sie arbeitete im Dept. of Drawings, Museum of Modern Art, New York; war Ausstellungskuratorin im MAK, Wien und ist Expertin am Dorotheum, Wien. Seit 1993 ist sie als freie Kuratorin in Wien tätig. Sie kuratierte Projekte für die Biennale von São Paulo, Brasilien; museum in progress, Wien; Public Art Lower Austria, NÖ; KÖR, Wien; kunstzürich, Zürich; Sigmund Freud Museum, Wien; BAWAG Foundation und BAWAG Contemporary, Wien; evn Sammlung, Maria Enzersdorf. Sie schreibt u.a. für ARTFORUM, Parnass und springerin. Sie ist korrespondierendes Mitglied der Wiener Secession.
Kurt Kladler**: SUBVERTING VIENNA

Die kritisch-performative Kunst hat im vergangenen Jahrzehnt einen deutlichen Wandel erfahren; der akademische Ernst der 1990er-Jahre wurde in eine Vielfalt von Ereignisformen, temporären Interventionen, webbasierten Distributionsweisen und der Umnutzung/Appropriation von bestehenden Formaten veräußert. Versehen mit wahlweise verwendeten Post- und Retroattributen, leuchten diese Begriffszeichen kurzzeitig im visuellen Sound der Events und in den durch Social Media vervielfältigten Fotos, Clips und Sounds auf.

In den 1970er-Jahren konnte „Radical Chic“ (Tom Wolfe) bei gesellschaftlichen Eliten noch als fashionable gelten. Inzwischen wurde durch die Aneignungsstrategien in der Popkultur und die exzessive Verwendung jeglicher ikonografischer Elemente von politischen Bewegungen, durch die Umnutzung von Logos großer Firmen und Institutionen bis hin zur Verwendung der Ästhetik von militanten Organisationen („Terrorist Chic“) eine neue Situation geschaffen.

Bedeutungsumbrüche, Überlagerungen, die unorthodoxe Verwendung von Symbolen der Macht, Subversion und kreative Protestformen wurden gerade für eine jüngere Generation von KünstlerInnen, die aus dem ehemaligen sowjetisch dominierten Machtbereich kommen, wie eben Anna Ceeh (Russland) und Iv Toshain (Bulgarien), zu prägenden Erfahrungen, die dann auch ihre Kunstproduktion maßgeblich beeinflussten. Die Erfahrung, dass die kulturell repräsentierbare Welt inkonsistent ist und von territorialisierenden Herrschaftscodes bestimmt wird, hat ästhetische Verfahren bedingt, die Übergangsdynamiken, die Verschiebung der Aufmerksamkeit hin zu Rändern und Schwellen, zum Inhalt haben.

Das sonic research project ⁄S⁄O⁄N⁄I⁄C⁄ ⁄Z⁄O⁄N⁄E⁄S⁄ (u. a. als Veranstaltungsreihe in der Wiener Secession, 2008–2014), kuratiert und organisiert von Anna Ceeh und Franz Pomassl, fokussierte beispielsweise 2009 die Aktivitäten der progressiven elektronischen Musikszene an geschichtlichen, politischen oder auch militärischen Umbruchsorten in den postsowjetischen Ländern (Russland, Kasachstan, Tartastan, Georgien, Estland etc.). Quellen für die künstlerische Produktion waren Spuren im Raum, während des Reisens und an den Aufenthaltsorten, das dokumentierte Umfeld, die digitalen Remixes des visuellen und akustischen Stoffs sowie netzbasierte Visuals.

Auch Iv Toshain hat in Zusammenarbeit mit Matthias Makowsky ein Ausstellungsformat entwickelt, das als „Avantgarde Kunstmesse PARKFAIR“ zeitgleich mit der Kunstmesse im Messezentrum, der „VIENNAFAIR The New Contemporary“, auf dem messenahen Parkdeck des Stadion Centers Wien stattfindet. Es handelt sich dabei um ein thematisch bestimmtes Ausstellungsformat mit Messecharakter, das durch Kooperationen, 2012 beispielsweise mit der Universität für angewandte Kunst und dem Klangforum Wien, herkömmliche Kunstformate in Form eines Gesamtkunstwerks hinterfragt. Ortspezifische Interventionen, Installationen, Performances sowie Video- und Medienkunst und die Erprobung von Präsentationsweisen bilden den Schwerpunkt dieses experimentellen Ausstellungssettings.

In dem gemeinsamen Projekt von Anna Ceeh und Iv Toshain – FEMINi̶s̶m̶TC – sollen aus diesen schon über Jahre hinweg entwickelten Formaten Synergien genutzt werden, um einerseits den Kreis des Publikums zu erweitern und anderseits, ganz im Sinne von Performanz, Kunst und Rezeptionsweisen, Rollendefinitionen und Diskurse hervorzubringen, welche die inhaltlichen Vorgaben und generativen Settings der KünstlerInnen als Ausgangssituation haben.

FEMINismTC

2012 gründeten Iv Toshain und Anna Ceeh das Kunstlabel FEMINi̶s̶m̶TC. Label, Logo, Slogan, Branding, Merchandising! Das klingt zunächst nicht nach einer gängigen kritischen künstlerischen Praxis. Und die Antworten auf die Frage, wie sich dadurch Kritik äußere, sind keineswegs sprachlich elaborierte Texte mit Verweisen auf kanonische Autoren!

Stattdessen sprechen die Künstlerinnen von einem „modularen Perpetuum mobile“; einer Bewegungsmaschine, um durch Events, temporäre Interventionen, Aktivismus, Vernetzung, Ausstellungen etc. Ereignisstrukturen zu schaffen. Postsozialistischer Pop-Aktivismus und subversive Affirmation charakterisieren diese künstlerische Praxis, in der gleichsam aus der Bewegung heraus binäre Festschreibungen vermieden werden. Konzepte der Identitätsstiftung, „queer culture“, Selbsthistorisierung und Formexperimente wenden sich gegen gängige Vorstellungen, Ideologien, Rollenklischees, Angemessenheit oder auch Rebellion und Coolness, ohne aus der Position des Besserwissens komplementäre Festschreibungen anzubieten wie etwa die Definition dessen, was denn nun Postfeminismus „wirklich sei“! Inkomplettes Verstehen, semantische Unbestimmtheiten und Vielstimmigkeit sollen die Positionen der RezipientInnen aktivieren, wodurch diese aktive TeilnehmerInnen in jenen performativen Sets werden, die Iv Toshain and Anna Ceeh konzipieren.

Unschärfe, Ironie, semantische Verschiebungen und Überlagerungen sind zwar Teil des künstlerischen Prozesses und der strategischen Entscheidungen, die einzelnen Events, Ausstellungen und Interventionen sind aber ganz konkrete Versuchsanordnungen mit ausgewiesenen Referenzebenen.

Arena und Setting
FEMINi̶s̶m̶TC
XXXXXi̶s̶m̶TC
FXXXi̶s̶m̶TC
FYCKi̶s̶m̶TC
FUCKi̶s̶m̶TC
SUCKi̶s̶m̶TC

Buchstabenfolgen identifizieren wir als Worte oder als bedeutungsinitiierende Zeichen und folgen dabei Konventionen, die es beispielsweise ermöglichen, diesen konkreten Text zu den Arbeiten der beiden Künstlerinnen Anna Ceeh und Iv Toshain zu erfassen. Im Bereich der Kunst treten zu diesen Konventionen eine Reihe von anderen Verfahren und Kriterien hinzu, um den Sinnversprechen, die Kunstwerken zugrunde liegen, Bedeutung zu geben. Dabei kann der Sinn schwankend bleiben, und es mag auch sein, dass die Bedeutungen, die wir als RezipientInnen erschließen, nicht den Absichten der Autorinnen entsprechen und dass diese dennoch Gültigkeit haben. Der Grund liegt darin, dass FEST-Stellungen nur temporären Charakter haben und Kunstwerke kontextsensitiv sind. In besonderer Weise gilt dies für die Kunst im öffentlichen Raum, wie die kürzlich veröffentlichte Plakatserie ПРЕЙЪР von Anna Ceeh und Iv Toshain zeigt. Die Plakate vermitteln Botschaften, so wie wir es von Plakaten her gewöhnt sind. Die verwendeten Texte haben einen Aussagewert, und die beigefügten Eigennamen von Personen, denen diese Statements/Slogans zugeschrieben werden, scheinen auch für den vermittelten Sinn zu bürgen. Dieser wird für viele Menschen lediglich ein Teil des semantischen Rauschens des visuellen City-Sounds sein oder auch gar nichts bedeuten. Und dennoch liegt Sinn darin, Sinn, der nicht nur als künstlerische Geste oder in der Ästhetik eines etwas dekonventionalisierten Alltagsobjekts/Plakats verstanden werden soll.
In gesteigerter und zugespitzter Form zeigt sich dies beispielsweise im Branding von Logozismen, die in Form als Buchstabenvariationen vor dem bekannten „i̶s̶m̶TC“ stehen und multiple Namen des Kollektivs, das die beiden Künstlerinnen vertreten darstellen. Die in dieser durchgestrichenen Buchstabenfolge komprimierten Bedeutungen sind bereits das Produkt eines erfolgreichen Brandings, das den ursprünglichen Inhalt „FEMINi̶s̶m̶TC“ teilweise überschrieben und erweitert hat. „i̶s̶m̶TC“ erweist sich als jenes aktives Moment, das nun zusätzliche Projekte, Handlungen und Bedeutungen anstößt. Es hat die Inhalte usurpiert, die in der vorangestellten Buchstabenfolge „FEMIN“ ihren Bedeutungsanker hatten. In einer gleichsam anarchisch-dadaistischen Geste haben Anna Ceeh und Iv Toshain nun neue Ismen erfunden und im kombinatorischen Spiel die Buchstabenreihe „FUCK“ mit einem ironischen Bedeutungsanreiz versehen. Dies auch, um zu zeigen, dass die Wortbedeutung selbst nicht von Belang ist. Es sei denn als ironisches Spiel, provozierende Geste, als ein Teil eines Buchstabengedichts oder eben als Beispiel für eine willkürlich gewählte Zeichenfolge, die erst in performativen Akten, in der Funktion als Marker und Hinweiszeichen, Bedeutung hat und im initiierten künstlerischen Prozess nach und nach Bedeutungen versammelt.

Extrinsische Vertriebswege

Anlässe zu finden und Ereignisse zu schaffen sind ein wesentlicher Teil der künstlerischen Praxis von Anna Ceeh und Iv Toshain. Im konkreten Fall ist es eben die Publikation zu ПРЕЙЪР, einem Projekt im öffentlichen Raum, das in Form einer Zeitschrift von beiden Künstlerinnen unabhängig herausgebracht wird. Diese wird als Beilage im VICE Magazine dem „Endkunden“ direkt nach Hause zugestellt und fügt somit der künstlerischen Praxis (außerhalb des White Cubes und jenseits des Kunstpublikum-Territoriums) weitere als Vermarktung getarnte Strategien hinzu. Ein „Poster“ wird im Zeichen- und Bildraum dieser Zeitschrift in einer Weise ausgestellt, in der viele von uns das Wort „Poster“ erstmals mit Bedeutung versehen konnten: als ausfaltbare Beilage in einer Kunstzeitung, die mit soziopolitischen Themen ein jugendliches Publikum anspricht. In mimetischer Anverwandlung an die Darstellungsrhetorik von Pop-Ikonen propagieren Iv Toshain und Anna Ceeh subversiv ein Lebensgefühl, das von multiplen Identifikationsangeboten aus Kunst, Politik, Pop, Sex, Mode und einem lebendigen Bewusstsein für Gegenwärtigkeit geprägt wird.

Performanz, Performativität, Aktivismus

Und dennoch! Die kulturelle Sphäre bietet die Möglichkeit, handelnd Ereignisse zu schaffen, in denen die Bedeutungsbezüge erst durch das Handeln der Akteure aktiv geschaffen werden. So entstehen soziale und institutionelle Räume, in denen Identitäten verhandelt, Kritik inszeniert, Wertvorstellungen vermittelt, Lebensstile lustvoll erprobt und soziale, finanzielle, politische Dominiertheit als ihr Gegenteil gelebt werden können mit dem Ziel, kulturellen und politischen Wandel zu initiieren. Die Eigenlogik der Kunstwelt und ihre Verfasstheit in symbolischen Ordnungen akzentuieren die Performativität in Settings, wie sie Iv Toshain und Anna Ceeh gestalten. PerformerInnen artikulieren sich in Positionen innerhalb der möglichen Ereignisstrukturen, die im Kunstwerk angelegt sind, und bringen durch ihre Handlungen und Äußerungsakte erst das hervor, was als Erfahrung und Inhalt Bedeutung schafft.

Dieser Sachverhalt verdeutlicht den politischen Gehalt, der zunächst nur durch Verweise auf einen postsozialistischen Pop-Aktivismus und subversive Affirmation angedeutet werden konnte.

Kunst

Kunst wird in diesem Zusammenhang mehrfach gefasst. Einerseits ist es das Produkt der KünstlerInnen, die Settings, Objekte, Werke etc. entwerfen und herstellen. Anderseits ist es auch ein durch den Kontext, die Akteure und die entsprechenden Dynamiken hergestelltes Produkt, in dem die Rezeption, der Gebrauch und die Distributionsformen Teil des Werks sind.

Jänner/ April 2014

**KURT KLADLER (geb.1958) studierte Psychologie und Philosophie in Wien. Er ist Autor diverser soziologischer Studien zum Kunst- und Kulturbereich. Nach Lehrtätigkeit, Galerienleitung in Zürich und Veröffentlichung als Kunstkritiker ist er seit 2002 leitender Mitarbeiter der Charim Galerie in Wien.

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